© Auf dem Hexenstein / Sandra Schürmann

Gemeinschaftsfahrt Dolomiten - August 2022

04.12.2022

„Dolomitentypische große Hakenabstände“ so lese ich mit Schaudern in der Führerliteratur; Klettern in den Do­lomiten ist kein Plaisirklettern.

Da ist es nicht verwunder­lich, dass die Klettergruppe meine Mitnahme zur Ge­meinschaftsfahrt „Alpinklettern“ in die Dolomiten zunächst ablehnt. Ich klettere erst seit Juni 2021 bei Charlys „Trittfindern“; meine Klettererfahrung be­schränkt sich auf den Landschaftspark, die Kletterhalle und eine Tour im Bergell mit Bergführer. Erst als Jochen sich bereit erklärt, alle Seillängen im Vorstieg zu gehen, und ich verspreche, mir die erforderliche Seiltechnik im Vorfeld anzueignen, wird meine Teilnahme akzeptiert.

Die Urlaubsvorbereitung umfasste konsequenterweise zunächst den Erwerb von zwei 60-m- Halbseilen. Etwas „overdressed“ mit den 60-m-Seilen wird das Klettern, Sichern und Abseilen dann im Sektor 8 des Landschafts­parks geübt. Natürlich vorschriftsmäßig mit Knoten an den Seilenden, für den Fall, dass an den Bunkerwänden die Seillänge beim Abseilen nicht ausreichen sollte. Ein privater Crash-Kurs „Mehrseillängen und Standplatz-bau“ bei Jochen im Bochumer Bruch rundet die Vorbe­reitung ab. Endlich kann es losgehen.

 

Sonntag, 21. 08.2022

Am Sonntagnachmittag treffen wir uns in Sankt Kassian im Gadertal. Wir sind zu sechst gekommen: Sandra, Rai­ner, Jochen und ich zum Klettern; Leni und Ulrike vorwie­gend zum Wandern. Untergebracht sind wir auf dem Campingplatz Sass Dlacia; im Wohnwagen oder in einer Ütia. Diese Ütias sind niedliche Einpersonenhütten; hübsch, aber eher für Kleinwüchsige konzipiert. Bei einer Körpergröße über 1,70 sind elementare Yoga-Kenntnis durchaus hilfreich, um sich auf die vorgegebene Bettlän­ge passend verknoten zu können. Abends geht es noch auf Erkundung der Klettergärten; um bei unsicherem Wetter Ausweichmöglichkeiten zu haben. Der Klettergarten Saas Dlacia bietet nur Routen ab dem 7. Grad; aber der neuere Klettergarten am Lagazoui weist Routen in allen Schwierigkeitsgraden auf. Wir parken um 16:30 Uhr am Falzarego-Pass und sind um 18:01 Uhr zurück. Das bedeutet, dass wir für das Parken einmal 5 Euro Tagestarif bis 18:00 Uhr und dann 10 Euro Nachttarif für die Zeit von 18:00 - 18:01 Uhr zahlen. 10 Euro pro Minute Parkzeit: wir nehmen es mit Humor.

Montag: 22.08.22

Endlich, endlich geht es los. Das Wetter ist perfekt; die Stimmung könnte nicht besser sein. Zum Einklettern ha­ben wir uns eine kurze Tour auf den Kleinen Falzarego-Turm (2416m) vorgenommen: die Nordwest-Kante (4 SL, IV-). Start ist bei der hübschen Bar da Strobel am Falzarego-Pass. Wir klettern in zwei Seilschaften: Jochen und ich als erste Seilschaft, dann Sandra, Leni und Rainer. Klettertechnische Schwierigkeiten gibt es nicht; solide einzementierte Standhaken sind wohltuend für die Psy­che. Wir sind allerdings an diesem schönen Tag im Au­gust nicht die einzigen Kletterer; und nicht alle nehmen Rücksicht auf die Mitkletterer. Wir lassen die „Rüpel“ überholen; so wird es dann doch trotz der Kürze der Tour ein langer Tag.

Dienstag, 23.08.22
- Hexenstein (Südkante) 2477 m „Die Südkante am Hexenstein zählt zu den großen Klas­sikern in den Dolomiten und ist aufgrund ihrer abwechs­lungsreichen Kletterei und der einprägsamen Stellen ein Muss für jeden Dolomitenkletterer“ so steht es auf der Homepage des Bergführers Andreas Brunner, und, etwas nüchterner: „schon etwas abgegriffen, dennoch land­schaftlich schöne und lohnende Kletterei“ bei bergstei-gen.com.

Wir starten früh, um dem Andrang zu entgehen. Das Wetter wieder perfekt. Nach kurzem Zustieg vom Park­platz Forte Tre Sassi geht es los. Die Seilschaft Sandra/ Rainer geht heute voran; Jochen und ich folgen. Es ist tatsächlich eine sehr schöne Kletterei; die Schwierigkeit beträgt maximal IV, nur die 7. Seillänge ist mit IV+ ange­geben. Alles offensichtlich zu leicht für Jochen, der in der 6. SL eine neue Route erprobt, dabei aber in eine Sack­gasse gerät und zurück zum Stand abseilen muss. Die Wegfindung in dieser Seillänge ist tatsächlich nicht ganz einfach; es geht erst rechts durch ein Loch; dann folgt ein Quergang und dann geht es noch einmal um die Ecke durch einen engen Durchschlupf. Das Seil macht die Richtungswechsel problemlos mit; nicht aber die Schallwellen. Jochen ruft mehrfach irgendetwas, was ich nicht verstehe, und er versteht meine Frage: „Hast Du Stand?“ nicht. Da ich nicht sehen kann, was los ist, will ich meinen Seilpartner aber nicht aus der Sicherung neh­men. So stehen wir beide etwas ratlos herum, er oben, ich unten, während die Kletterschuhe immer mehr drü­cken. Irgendwann kommt eine freundliche italienische Seilschaft vorbei und klärt die Situation. All unsere Son­dereinlagen haben Zeit gekostet; inzwischen ist auch un­sere erste Seilschaft am Gipfel des Hexenstein unruhig geworden und meldet sich. Die 7. Seillänge ist ein sehr schöner Riss; leider sind wir nicht die ersten, die ihre Füße auf die Tritte setzten und an kritischen Stellen sind diese wirklich abgespeckt. So kann man einer einfachen Route natürlich auch etwas mehr Pep geben. Die 8. Seil­länge ist dann so einfach, dass ich einmal „vorsteigen“ darf. Oben freuen sich Sandra und Rainer, dass wir end­lich angekommen sind. Der Abstieg erfolgt durch alte Schützengräben und Stollen. Traurige Erinnerungen an die Schlächtereien des 1. Weltkrieges in Südtirol.

Mittwoch, 24.08.22

Es ist ein Familien- und Ruhetag. Rainer und Ulrike besuchen Bruneck und das Speckmu­seum; Sandra geht mit Tochter Leni einen Klettersteig am Col dei Bos und Jochen und ich wandern von der Bar da Strobel zu den Cinque Torri, um diese als Ausweichmög­lichkeit bei angekündigtem Schlechtwetter zu erkunden. Im August sind die Türme aber keine wirkliche Alternati­ve: es ist brechend voll: Kletterer, Wanderer, und mit der Seilbahn angereiste Zuschauer tummeln sich um die Tür­me; und im Rifugio Cinque Torri gibt es keinen freien Platz mehr. Wir verlassen recht fluchtartig den Ort.

Donnerstag, 25.08.22

Nach dem Ruhetag gestern hatten wir uns eigentlich für heute die Mariakante (IV+) an der Pordoispitze vorge­nommen. (1 Stunde Fahrzeit, 1 Stunde Zustieg, 9 SL) Da für den frühen Nachmittag bereits Gewitter angekündigt sind, planen wir um und nehmen uns die schneller er­reichbare Via del Buco am Kleinen Lagazuoi vor. Wir sind früh am Parkplatz. Dort angekommen, stellt sich heraus, dass ein Gruppenmitglied den Helm vergessen hat. Also geht es zurück zum Campingplatz: Helm holen. Am Him­mel ziehen bereits Wolken auf und es ist nun auch für die 10 SL der Via del Buco zu spät geworden. Wir ändern unsere Pläne noch einmal und gehen die einfache Gior­dano Führe (6 SL, IV-). Das Seilhandling klappt heute pro­blemlos; die Kletterei ist einfach, aber sehr schön. Beim Abstieg auf schmalem, ausgesetzten Band entlang der Felsen muss ich dann ein paarmal tief durchatmen - mit Rainers Aufmunterungen geht aber auch das. Immerhin war das Timing perfekt. Gerade, als wir wieder im Auto sitzen, beginnt es zu regnen.

Freitag., 26. 08.22

Auch heute ist das Wetter instabil. Jochen und ich gehen wandern; Rainer und Sandra klettern noch eine kurze Route am Großen Falzarego-Turm (NW-Wand). Dann heißt es, Abschied zu nehmen: Rainer und Ulrike wollen am Samstag früh fahren. Wir treffen uns abends zum Wein in meiner Ütia. Sandra kommt pünktlich mit einer Flasche Rotwein durch die Tür; Rainer etwas später mit der ganzen Eingangstür in meine Ütia. Ihn hat die Klet­terei heute offensichtlich kräftemäßig nicht voll ausge­lastet. Nachdem die Tür wieder eingehängt ist, können wir uns dann endlich dem italienischen Rotwein widmen.

Am Samstag, unserem letzten Tag, ist das Wetter scheußlich. Wir beschließen spontan, in die sehr schöne Kletterhalle nach Bruneck zu fahren.

Fazit:

Es war eine wunderschöne Woche. Die Stimmung war die ganze Woche gut; wir haben viel gelacht. Kletter­technisch ist keiner von uns an seine Grenzen gekom­men; kritische Situationen gab es nicht und Jochen hat mir immer ein Gefühl der Sicherheit gegeben. Für mich war es ein perfekter Einstieg in das Alpinklettern. Hoch­motiviert, das Vorsteigen und das Setzen mobiler Siche­rungen für die nächsten Touren zu lernen, komme ich nach Hause. Vielen Dank an Sandra für die gute Vorbe­reitung; an Jochen für das Vorsteigen und zuverlässige Sichern und an Rainer für die stets motivierenden Worte.

 

Verwendete Literatur:
https://www.suedtirolalpin.com/bergfuehrer
https://www.alpenvereinaktiv.com/de/
https://www. bergssteigen.com
Bernadi, Mauro: Diverse Kletterführer

 

Jutta Klöwer