Keine Bergtour ohne Ziel und Motivation. Am 29.06.2021 beendet Christoph Hainz mit seiner Lebensgefährtin Gerda Schwienbacher eine weitere Neuerschließung an den Drei Zinnen, die Skyline (V+), die über 1000 Klettermeter und drei Gipfel auf die Westliche Zinne führt. Der Südtiroler Christoph Hainz ist Extrembergsteiger, viele Erstbegehungen hat er durchgeführt, seine Faszination gilt den Drei Zinnen. Daher ist es nicht erstaunlich, dass Christoph Hainz an den Drei Zinnen Erstbegehungen wie z.B. „Das Phantom der Zinne“ (IX+), „Yeti trifft Ötzi (VIII+) und „Pressknödel“ (IX) gelungen sind.
Umso erstaunlicher ist es, dass Christoph Hainz eine Kletterroute im alpinen unteren Schwierigkeitsgrad erschlossen hat. Wer sein neustes Buch „Berg steil – Meine Erstbegehungen zum Nachklettern“ liest, versteht seine Wandlung von extrem brüchigen, schlecht abzusichernden Routen, hin zu Routen im unteren Schwierigkeitsgrad, die für Wiederholer bestens abgesichert sind. Den gedanklichen Richtungswechsel erklärt er mit seinem zunehmenden Alter und wachsender Reife.
Die alpine Herausforderung der Skyline sind für Thomas und mich Motivation genug. Dennoch hinterfragen wir uns, ob wir der Gesamttour gewachsen sind, drei Abbruchmöglichkeiten gibt es. Um 05.30 Uhr stehen wir am Einstieg. Mehrere Bergführer laufen mit ihren Gästen an uns vorbei. Ein Bergführer teilt mit, dass wir die ersten wären, die er in der Skyline sieht. Die ersten zwölf Seillängen führen über steilen, am Hainzturm überwiegend senkrechten Fels auf die Croda del Rifugio. Wir kommen nicht so zügig voran, wie wir es sonst gewohnt sind, unsere 121 Jahre melden sich. Wir passen die Tour unserem Können an und genießen die gewonnene Zeit auf dem Gipfel der Croda del Rifugio. Die Aussicht auf die Landschaft ist grandios und bringt Zufriedenheit.
Von hier oben wirken die Menschenmassen auf dem "Catwalk" weit weg. Irgendwie freuen wir uns auch über die verbleibende Tageszeit und sind interessiert am veränderten menschlichen Verhalten am Berg. Schon lange schwelt der Konflikt Massentourismus in den Alpen, insbesondere an den drei Hotspots in Südtirol: Pragser Wildsee, Seceda und Drei Zinnen. Die Politik und die Tourismusverbände versuchen den Spagat zwischen dem zu bewahrenden einzigartigem Juwel, der Natur und der notwendigen Einnahmequelle. Es häufen sich immer mehr Protestaktionen durch Einheimische, die die Zeitenwende erkannt haben. So wurde kürzlich auf der Seceda ein Drehkreuz errichtet. Benutzer des Panoramaweges sollten 5 Euro für die Benutzung zahlen.
Der Künstler Aron Demetz installierte eine symbolische künstlerische „Mautstelle“ auf der Grödner Straße bei St. Ullrich. 5 Dollar „Maut“ und 17 Dollar für eine „Photo“. Immer häufiger werden Schriftzüge „Tourists go home“, nicht nur in Südtirol festgestellt. Gutes Geld wird mit der Mautstraße zur Auronzohütte verdient. 40 Euro für einen PKW für 12 Stunden Aufenthalt müssen gezahlt werden. Wir haben den öffentlichen Nahverkehr gewählt und sind mit dem Bus von Toblach zur Auronzohütte für unsere Kletterwoche gefahren.
Tagsüber überlaufen die Auronzohütte zu viele Menschen, sie ziehen Trollis hinter sich her. Großraumfahrzeuge transportieren neben vielen große Taschen und Koffer - die mit ihren angehängten Gepäckscheinen an Pauschaltourismus erinnern - viele Menschen zur Auronzohütte und transportieren sie am nächsten Tag wieder bergab. Auf der Terrasse ist ein weiterer Verkaufsstand aufgebaut, der Andrang ist groß. Das Bier läuft in Strömen. Alle Getränke werden in Plastikbechern verkauft. Wassermangel wird als Grund angegeben. Abends entdecken wir vereinzelt Frauen in Kleidern mit Handtasche. Im Lager hängen Motorradjacken. Bergwanderer mit Rucksäcken gibt es tatsächlich auch. Der Hüttenwirt ist überfordert und versucht in gehetzter Manier die Nächtigungsgäste ab 21.00 Uhr aus dem Aufenthaltsraum zu „entfernen“. Nur an einem Tag ist die Kantine bis 22.00 Uhr geöffnet. Mitglieder der Sektion Auronzo nächtigen in ihrer Hütte.
Am nächsten Tag setzen wir die Begehung der Skyline fort. Sobald man den "Catwalk" zum Paternsattel verlässt, ist man alleine. Über den Normalweg steigen wir zum Ringband auf und vollenden den oberen Teil der Skyline. An diesem Tag sind Thomas und ich sogar die einzigen, die die Westliche Zinne erklimmen. Ihr kennt alle das Gefühl etwas geschafft zu haben, den Blick in die Weite zu richten, die Gedanken kreisen zu lassen und einfach nur zu genießen.
Abends kommen wir erneut mit Logy Y., aus Shanghai, ins Gespräch, der wie wir, mehr als eine Übernachtung auf der Hütte verbringt. Wir tauschen uns über Klettern, Gepflogenheiten, Gebräuche, ein wenig über Politik, aus. Logy erklärt, dass die meisten Asiaten, die die Drei Zinnen besuchen, aus China, Korea, Japan und Taiwan kommen. Logy ist begeisterter Fotograf. Lustig wurde es, als wir ihm bei einem schottischen Single Malt den Trinkspruch „Man kann nicht auf einem Bein stehen“ erklären.
Ob wir irgendwann den mittleren Teil der Skyline klettern, hängt von unserer eigenen Zeitenwende ab.