30. Juni 2022 | Redaktion alpenvereinaktiv.com
Über Ehrlichkeit, Freundschaft und die Schönheit der Dolomiten: Im Gespräch mit den Alpinklettertrainern Thomas Schwindt und Oliver Knorre
"Die alpenvereinaktiv.com-Touren sind wichtiges Herzstück des Portals. Doch wer steckt eigentlich hinter den Touren? Was treibt unsere Autor*innen an, wie planen sie ihre Touren und was war ihr allerschönster Bergmoment? In einer kleinen Reihe stellen wir euch ein paar unserer Top-Autor*innen vor.
Grüne weiche Almwiesen, die sanft im Wind wiegen. Bleiche mächtige Felswände ragen aus ihnen empor. Atemberaubende Massive: Türme, Pfeiler, Zinnen. An ihnen einzigartige Linien, eine Vielfalt an Strukturen, Formationen und Farben. Eine Spielwiese für Thomas Schwindt und Oliver Knorre. Genau hier fühlen sich die beiden Alpinklettertrainer der Sektion Duisburg besonders wohl: in den Dolomiten. Auf alpenvereinaktiv.com bedienen sie mit ihrem Angebot an Alpinklettertouren noch eine Randnische des Portals.
Aus dem Ruhrgebiet in die Dolomiten
Über 900 Kilometer trennen Duisburg von den Dolomiten. Dass Thomas und Oliver also eine über viele Jahre so intensive Verbindung zu – in Reinhold Messners Worten gesprochen – „den schönsten Bergen der Welt“ und eine solche Passion zum Alpinklettern aufbauen konnten, ist also nicht unbedingt selbstverständlich.
Bei Thomas begann die Dolomiten-Liebe im Alter von etwa 18 Jahren. Damals war er mit einem Freund das erste Mal in der Gegend. Mit dicken Rucksäcken voller Lebensmittel und Kletterzeug ging es rauf auf die Klettersteige und rein ins Abenteuer. Vorher war er vor allem in den Mittelgebirgen unterwegs, in Einseillängen oder zum Wandern. Auch später hatte er als Familiengruppenleiter die Alpen noch regelmäßig besucht – meist aber eher die verregnete Alpennordseite. „Daher kommt sicher auch die Liebe zu den Dolomiten: weil die Wetterlage dort einfach besser ist“, schwärmt er. Sein Alpinkletterdebut hatte Thomas dann aber am Bauernpredigtstuhl am Wilden Kaiser. „Das war der Horror“, erinnert sich der geborene Neusser. Nachdem er hochmotiviert die erste Seillänge vorgestiegen war, konnte er den Stand nicht finden. „Als ich dann alles selbst gebastelt hatte und die anderen nachkamen, sah ich, dass wirklich einen halben Meter neben mir ein fetter Ring war“, lacht Thomas heute darüber. Am Alpinklettern weiß er die Ruhe und Einsamkeit zu schätzen – am liebsten ohne gerufene Seilkommandos. Vielleicht ein Grund, warum der Familienvater neben dem Klettern in seiner Freizeit gerne auch tauchen oder weitwandern geht. Rauf und runter, die Stille genießen.
Olivers Bergliebe entwickelte sich schon früher: Bereits mit fünf Jahren nahmen ihn die bergsteigbegeisterten Eltern, die regelmäßig schaurige Geschichten ihrer jugendlichen Kletterabenteuer im Elbsandsteingebirge erzählten, mit über den Widauersteig auf den Scheffauer im Kaisergebirge. Ein leichter Klettersteig – der Fünfjährige und seine Eltern aber waren freilich ohne Klettersteigset. „Da haben die Leute geguckt und ich hab immer runtergeschaut und gewunken, huhuhu, und hatte einen Riesenspaß“, weiß Oliver heute noch. Seitdem war die Bergliebe entflammt. Mit 13 Jahren bekam er dann seinen ersten Kurs und wurde bergsteigerisch groß: im Stubai, im Ötztal, im Zillertal. Nach einer Jugend voller Hütten- und Gletschertouren in den Ostalpen gab es ein neues Ziel: alle 4.000er der Westalpen. Erste Station: der Mont Blanc natürlich. „Und das war für mich ein einschneidendes Erlebnis, dann hatte ich keinen Bock mehr“, sagt Oliver heute. Überfüllte Hütten, Akklimatisierung und Schlangen vor dem Gipfel – danach schwor sich Oliver, er würde nie mehr Modeberge über den Normalweg begehen und nun mit dem Klettern anfangen. Gesagt, getan: über den Turnverein lernte er seinen ersten Seilpartner Uli kennen, mit dem er dann in der Eifel das Klettern begann und 1988 das erste Mal in die Dolomiten reiste. Seine erste Tour: Die Stegerkante auf dem ersten Sellaturm. „Ich hab geschwitzt wie ein Teufel, wir sind raufgeklettert, wieder abgeseilt, unten war ich super zufrieden und glücklich, da sagt der Uli: 13 Uhr, da geht noch was“, erzählt Oliver. Also sind sie einmal um den Sellaturm rum und haben noch die Kaminführe drangehängt. Die 4.000 waren seitdem vergessen. Mittlerweile ist er im 34. Jahr in den Dolomiten unterwegs. „Ich sag immer: der liebe Gott hat da einen Top-Wurf hingelegt“, schwärmt er heute.
Alpinklettern – das perfekte Gesamterlebnis
Für die beiden B-Trainer, die auch regelmäßig in den Dolomiten Kurse anbieten, ist das Alpinklettern ein Gesamtpaket, das nicht am Fuß der Wand startet und am Gipfel endet. Stattdessen beginnt das Erlebnis schon bei der Planung. Die richtige Vorbereitung ist besonders wichtig. Gerade in den Dolomiten sind alpine Routen beispielsweise deutlich schwerer bewertet und stammen oft aus einer Zeit, in der die UIAA-Skala nur bis zum sechsten Grad reichte. Die Routen dort sind wilder und anspruchsvoller. Das muss berücksichtigt werden. Bevor das aktive Klettern beginnen kann, muss die richtige Anfahrt, der richtige Aufstieg zum Felsen, die richtige Wand, der richtige Einstieg gefunden werden. In der Route sind die passende Wegfindung und Absicherung mit mobilen Geräten wichtig. Nachdem – oben angekommen – der Panoramablick aufgesaugt wurde, ist auch beim Abseilen nochmal höchste Konzentration gefordert. Thomas Regel ist: „Abgeklatscht wird bei mir immer erst, wenn wir wieder unten stehen.“ Zum besagten Gesamtpaket kann aber schon auch mal der Cappuccino und Kuchen oder das Glas Rotwein gehören. Genau das ist es, was das Alpinklettern ausmacht.
Das A und O des Kletterns: die richtige Planung
Mit ihren Touren, die sie auf alpenvereinaktiv zur Verfügung stellen, tragen Oliver und Thomas maßgeblich zum genau diesem Gesamterlebnis vieler Kletternden bei. 117 bzw. 88 Touren haben sie bereits hochgeladen. Darunter vor allem Alpinkletterrouten in den Dolomiten, aber auch Wander- und (Eis-)Klettertouren rund um das heimatliche Duisburg, auf Kreta, in Norwegen, Rumänien und vielem mehr.
Beide schauen sich im Vorfeld verschiedene Topos und Bilder der jeweiligen Gebiete an und sammeln möglichst viele Informationen im Netz und auf alpenvereinaktiv. Das ist manchmal einfacher und manchmal schwieriger. Für die Dolomiten ist laut Thomas mittlerweile der Bernardi die Bibel schlechthin. Für manche Gebiete, zum Beispiel die Pala, gibt es den allerdings noch nicht. Da muss man auch mal mit schlechteren Topos klarkommen. Am Gipfel oder beim Nachsichern am Stand kann es schon auch mal vorkommen, dass der Blick nach rechts und links schweift, erzählt Oliver. So werden auch Ziele für das nächste Dolomiten-Jahr gesammelt. Mittlerweile habe er auch schon viel gelesen oder Bildbände angeschaut, die als Inspiration dienen. Eigene Fotos, die er aus verschiedenen Perspektiven schon von der Route geschossen hat, vergleicht er auch gerne mit dem vorhandenen Infomaterial. Manche Ziele stehen natürlich auch grundsätzlich auf der Liste. Nach einem Urlaub in den Dolomiten hat man so dann schnell schon mal Ideen für die nächsten fünf Jahre im Kopf. Geplant wird dann vor allem in der kalten Jahreszeit. Und zwar nicht nur Plan A, sondern auch B, C und D. Das ist beim Alpinklettern besonders wichtig, denn für eine Tour muss dann wirklich alles passen: die eigene körperliche und mentale Verfassung, die des Partners oder der Partnerin, das Wetter und es dürfen natürlich auch nicht zu viele Seilschaften in der Route sein. Wichtig für eine passende Tourenplanung sind also die gute Vorbereitung und die ehrliche Selbsteinschätzung.
Die Tour dann im Nachhinein auf alpenvereinaktiv zu stellen, ist nochmal ziemlich aufwändig. Mindestens vier Stunden dauert das. Meistens deutlich mehr. „Wenn wir das veröffentlichen, dann gucken sich das Leute an und klettern danach. Da soll dann kein Mist stehen. Ich versuche es deshalb bestmöglichst so zu beschreiben, wie ich es wahrgenommen habe und Tipps zu geben, die im Topo vielleicht nicht stehen“, erklärt Thomas. Zur Nacharbeit auf alpenvereinaktiv gehört auch noch viel mehr als die Beschreibung der Tour. Es kommen schließlich auch noch Kommentare und Fragen, die Fotos müssen aussortiert und geordnet werden und Olivers Touren haben meistens zusätzlich auch noch eine Wandskizze. Die Touren kommen super an: „Das beste Kompliment hat mir mal einer im Klettergarten in Duisburg gegeben, der meinte: ‚Ich bin eine Tour von dir in den Dolomiten geklettert.‘ Und ich meinte: ‚Ich wusste gar nicht, dass ich eine Tour eröffnet habe.‘ Und er so: doch auf alpenvereinaktiv hast du die eingestellt und anhand deiner Wegbeschreibung, das ist ja Prosa gewesen, hab ich die Tour gefunden“, erzählt Oliver.
Eine gute Seilschaft: Ehrlichkeit, Offenheit, Freundschaft
Keine Tour funktioniert aber ohne den richtigen Seilpartner oder Seilpartnerin. Das muss einfach passen. Oliver und Thomas haben ihre Trainerausbildung zusammen gemacht und sind auch schon ein paar Routen zusammengeklettert, haben aber jeweils eigene Partner, mit denen sie in den Dolomiten unterwegs sind. Bei Oliver hat es bisher zweimal geklappt: Mit seinem ersten Seilpartner Uli hat er besondere Momente in den Dolomiten erleben können und mittlerweile klettert er auch schon seit 20 Jahren mit seinem zweiten Partner, der auch Thomas heißt, und der Oliver so wichtig ist, dass er ihn auch als Trauzeugen auf seiner Hochzeit auswählte. Thomas ist mit Bianca in einer Seilschaft unterwegs, die er nicht mehr missen möchte. Die Voraussetzungen für eine gute Seilpartnerschaft? Ehrlichkeit und Offenheit, finden beide. Dazu gehört vor allem, offen die eigenen Grenzen zu kommunizieren. Das Scheitern gehört zum Klettern zweifelsohne genauso dazu, auch wenn es oft schwerfällt. Idealerweise ist die Seilpartnerschaft auch mit einer guten Freundschaft verbunden. Für Oliver und Thomas ist das sogar sehr wichtig. Schließlich können sie nur zwei bis maximal vier Wochen im Jahr in den Dolomiten verbringen. Diese schönsten Momente im Jahr möchte man dann lieber mit einem echten Freund oder Freundin und nicht einer Zweckpartnerschaft erleben, finden beide. Einer Person, der man vertraut, die man schätzt und mit der man sowohl beim Klettern, aber auch beim gemeinsamen Bier privat auf einer Wellenlänge ist.
Wenn Liebe Berge versetzt
In vielen Jahren Alpinklettern in den Dolomiten haben Oliver und Thomas schon viele besondere Bergmomente sammeln können. Ihren allerschönsten Bergmoment teilen beide aber jeweils mit einem ganz besonderen Menschen – ihren Ehefrauen. Thomas erlebte seinen nicht in den Dolomiten, sondern im Frankenjura. Mit seiner Frau kletterte er eine Einseillänge, ein total vermooster furchtbarer Riss – klettertechnisch nicht schön. Oben gab es ein kleines Plateau, Thomas sicherte seine Frau hinterher. „Dann saßen wir da oben, wir wussten, dass wir uns liebten – das war mein schönster Bergmoment“, erinnert er sich.
Bei Oliver war es der Monte Averau, ein Berg mit wunderbarem 360-Grad-Blick in den Dolomiten. Dort hat er seiner Frau den Heiratsantrag gemacht. „Sie hat ja gesagt, hätte sonst auch nicht wieder runter gekonnt“, lacht er. Piccolo und Gläser waren im Rucksack verstaut, eine größere italienische Gruppe stimmte nach dem Antrag spontan ‚La Montanara‘ an. Perfekt also. Den Monte Averau sieht Oliver jedes Jahr beim Klettern in den Dolomiten. Und jedes Mal erinnert ihn der Berg an genau diesen besonderen Moment in seinem Leben. Scheinbar kann Liebe also wirklich Berge versetzen – im wahrsten Sinne des Wortes.
2 schnelle Fragen an Oliver und Thomas
Welches sind eure Top 3 Lieblingstouren?
Oliver: Das sind meistens die Touren, die nicht so glattgelaufen sind, hinter denen es aber eine Geschichte zu erzählen gibt (siehe Tourenbeschreibungen).
Tofana di Rozes, Südwand, Via classica, Dimai-Eötvös
Campanile Basso, Fehrmannverschneidung
Schleierkante, Cima della madonna
Thomas: Das geht fast nicht. Mir fallen spontan Touren ein, die nicht aufgrund der Klettertechnik, sondern des Gesamterlebnisses gut sind.
Steger-Direkte, Rosengartenspitze, Dolomiten (Rosengarten)
Tofana di Rozes, Zweite Kante
Via Speranza, Monte Brento, Dolomiten (Sarcatal)
Welches ist die schönste Alpenregion?
Ganz klar: natürlich die Dolomiten!"