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Klettersteige im Toten Gebirge, August 2025

eine Hüttentour - von Markus Mittasch

22.09.2025

Das Tote Gebirge ist mit einer Ausdehnung von mehr als 1100 km² das größte Karstgebiet Mitteleuropas und erstreckt sich über die Bundesländer Steiermark und Oberösterreich. Der Name leitet sich vermutlich von der wasser- und vegetationsarmen, steinigen Hochfläche ab.


10. bis 15. August 2025

Text: Markus Mittasch, Fotos: Markus Mittasch und Eckes Deflize

„Wer ein guter Bergsteiger ist, dem rate ich diese Wüstenei zu besuchen … frei ist der Atem und man denkt sich auch frei … jeder Gedanke an die große Welt, jeder Kummer schwindet hier.“ Diese Empfehlung stammt von Erzherzog Johann von Österreich nach einer fünftägigen Bergtour durch das Tote Gebirge im Jahr 1810. Schlappe 215 Jahr später folgen Katja, Eckes und Markus diesem Vorschlag. 

Am späten Samstagnachmittag trifft sich unsere kleine Gemeinschaft nach individueller Anreise auf dem Prielschutzhaus (1420 m), wo wir für drei Nächte gebucht sind. Wir freuen uns wie Könige und setzen uns mitgebrachte Pappkronen einer bekannten Burger-Kette auf den Kopf. Die Gäste auf der Sonnenterrasse blicken irritiert zu uns herüber, was uns allerdings egal ist: Erwachsene Menschen verhalten sich wie Kinder und das aus Vorfreude auf die Berge.

Der Montag beschert uns unseren ersten Klettersteig und den ersten Gipfel der Tour. Wir starten zeitig Richtung Westen, durchqueren die Klinser Scharte (1807 m) und passieren das kleine Kreuz, das an Kurt Gerlach erinnert. Der Pilot der mit seiner JU 52 im Jahr 1942 dort abstürzte. Aluminiumteile des Wracks sind heute noch auffindbar. Ein Propellerflügel wurde rot-weiß-rot bemalt und dient heute als Wegmarkierung des AV-Wegs 201. Einige Zeit später biegen wir links ab, steigen weiter auf und stehen bei etwa 1900 m vor dem Einstieg des Stodertaler Klettersteigs. Der Steig ist mit 160 Hm relativ kurz und mit Schwierigkeit B bewertet, jedoch stark ausgesetzt. Er führt fast senkrecht im Stile einer Direttissima durch den unteren Teil der Spitzmauer Nordwand und endet auf dem Sattel zwischen Weitgrubenkopf und Spitzmauer. Von hier aus steigen wir über Geröll und Felsplatten auf dem Normalweg zum Gipfel der Spitzmauer (2446 m), dem zweithöchsten Berg des Gebirges. Hier empfängt uns statt eines Gipfelkreuzes eine große Metalldarstellung eines Edelweißes. Wir genießen unser Gipfelglück. Tags zuvor, beim Zustieg aus dem Tal, betrachteten wir die Ostwand der Spitzmauer, die sich in der Wasseroberfläche des Schiederweihers spiegelte – eine wahrliche Ehrfurcht einflößender Anblick. Diese Aussicht, bzw. der Standort, wurde von den ORF-Zuschauern 2018 als „schönster Platz Österreichs“ gewählt (was immer man von dieser Auszeichnung halten mag).

Dienstagmorgen verlassen wir um kurz vor sieben Uhr das Prielschutzhaus und steigen zum Einstieg des Priel-Klettersteigs auf. Auf dem Weg dorthin kreuzen Gämsen unseren Weg die gerade ihr Frühstück zu sich nehmen. Sie lassen sich von uns in keinster Weise stören. Der Klettersteig wird als „längster Klettersteig Österreichs“ beworben und weist den Schwierigkeitsgrad D auf. Eine defensive Tourplanung, realistische Einschätzung der technischen und konditionellen Fähigkeiten der Gruppe und letztendlich auch der altmodische Begriff „Demut vor dem Berg“ sind u.a. Voraussetzungen für die Durchführung einer sicheren Bergtour. Diesem Grundsatz folgend, beschließen wir von vornherein nur ein Teilstück des Priel-Klettersteiges zu begehen. Am sogenannten Süd-Ost-Sporn (1890 m) hängen wir unsere Karabiner aus dem Stahlseil aus und steigen über den Normalweg zum großen roten Gipfelkreuz des Großen Priel (2515 m) auf. Vom höchsten Gipfel des Toten Gebirges ist dank guter Wetterverhältnisse die Fernsicht grandios. Nach etwas mehr als neun Stunden Bruttogehzeit freuen wir uns darauf auf der Hütte unsere Energiereserven wieder aufzufüllen.

Am Folgetag durchqueren wir einen Teil der Karsthochfläche auf unserem Weg zur Welser Hütte (1740 m). Wir passieren zahlreiche Dolinen, das sind durch Kohlensäureverwitterung entstandene unterschiedlich tiefe trichterförmige Sinkhöhlen. Und bestaunen sogenannte „Kuhtrittmuscheln“. Der Geologe spricht von versteinerten Megalodonten, also Fossilien im Kalkgestein, die mit ihrer Form an Hufabdrücke von Kühen erinnern. 

Donnerstag gönnt sich Katja einen Regenerationstag auf der Welser Hütte und schickt Eckes und Markus alleine in den Tassilo-Klettersteig auf den Schermberg (2396 m). Nach einer knappen ¾ Stunde Zustieg stehen wir in einer überdachten Nische am Wandfuß, legen unsere Klettersteigausrüstung an und steigen in die Wand ein. Die Sonne lacht, der Wetterbericht ist top, der Fels trocken und griffig, die ersten Höhenmeter am Stahlseil vergehen wie im Flug. Nach einiger Zeit greife ich zum Handy, mache Fotos von Eckes, der im Nachstieg ist und fange an zu grübeln. Irgendetwas ist nicht so, wie es sein sollte. Dann fällt es mir auf: Auf seinem Kopf fehlt der Helm! Am nächstmöglichen Standplatz wandert der Helm aus dem Rucksack auf den Kopf und wir holen jetzt gewissenhaft den Partnercheck nach. Teils sind wir amüsiert, teils aber auch schockiert und selbstkritisch mit uns. Wie konnte uns dieser Flüchtigkeitsfehler mit jahrelanger Berg- und Klettersteigerfahrung passieren? Letztendlich blieb dieser Fehler durch Unachtsamkeit für uns folgenlos.

Im Gegensatz zu einem Fehler der, wie wir später erfuhren, einen Tag zuvor wenige Kilometer Luftlinie entfernt tragisch endete. Der Bürgermeister von Spital am Pyhrn, einem Talort ganz in der Nähe, stürzte im Däumling-Klettersteig am Nassfeld von einer Seilbrücke in den Tod. Die Alpinpolizei gab als Ursache an, die „nicht ordnungsgemäße Verwendung des Klettersteigsets in Verbindung mit dem benutzten Kombigurt.“

Wir setzen unseren Aufstieg fort und erreichen nach einigen hundert Höhenmetern das Almtaler Köpfl (2204 m), einen Zwischengipfel. Die Hauptschwierigkeiten, einige trittarme D-Stellen, liegen jetzt hinter uns, die letzte Stunde hält nur noch A- und B-Stellen direkt an der Gradschneide für uns bereit. Um etwa 11.30 Uhr liegen wir uns am Gipfel des Schermbergs (2396 m) in den Armen, gratulieren uns und machen Brotzeit. Der Abstieg erfolgt auf dem Normalweg, teils mühsam durch Blockschutt bis wir nach circa acht Stunden Bruttogehzeit erschöpft und glücklich wieder bei Katja an der Hütte ankommen. 

Nach ausgiebigem Frühstück verlassen wir am Freitagmorgen die Welser Hütte Richtung Norden und steigen gemütlich etwas mehr als 1000 Hm ab. Dabei freuen wir uns seit Tagen endlich wieder über das Grün und den Duft des Bergwaldes. Wir begegnen zwei Personen die aufsteigen, ausgerüstet mit Spitzhacke und Harke, die den Steig pflegen. Wir grüßen und bedanken uns für ihre Arbeit. Wenig später hören wir ein lautes Rufen „VORSTICHT STEIN“ und hören ein Poltern von oben auf uns zukommen. Reflexartig suchen wir Deckung und ziehen unsere Köpfe ein. Nach wenigen Sekunden herrscht wieder Stille und wir setzen erschrocken aber unverletzt unseren Abstieg fort. Einige Zeit später wandern wir durch das breite, langgezogene hintere Hetzautal zum Almtaler Haus (710 m), unserer letzten AV-Hütte der Tour.

Den Nachmittag verbringen wir entspannt am bzw. im Großen Ödsee ganz in der Nähe des Almtaler Hauses. Mit einem Bier in der Hand, bis zum Bauchnabel im Wasser stehend, prosten wir uns zu. Wir erinnern uns an die Bergerlebnisse der vergangenen Tage und stimmen Erzherzog Johann zu, der sagte: „… jeder Kummer schwindet hier.“