Eine etwas andere Mountainbiketour

Oliver Classmann

27.07.2019

Seit ca. 5 Jahren bin ich nun ein ziemlich aktives Mitglied in der MTB-Gruppe unserer Sektion und denke mir, was Ausdauer und Kondition angeht, bin ich ganz gut dabei. Bereits seit ein paar Jahren reizt mich eine MTB-Tour im Dreiländereck, für die der Anbieter deutlich darauf hinweist, dass man neben grundlegendem, fahrtechnischem Geschick besonders Kondition und „Biss“ mitbringen muss. Anfang 2019 schien mir also die Zeit reif, mich zu der 4-Tagestour im Dreiländereck anzumelden -- meist wegloses Gelände, täglich Strecke 60 – 90 km (falls wilde Tiere keine Umwege nötig machen), Tagestemperaturen mit über 30° C, Übernachtung im Zelt bei unter 5° C und evtl. weitere landestypische Überraschungen ...

Der aufmerksame Leser hat bereits gemerkt, dass die Tour nicht in einem europäischen Dreiländereck stattfindet, sondern im Grenzgebiet zwischen Südafrika – Zimbabwe - Botswana und unter dem Namen „Tour de Tuli“ seit 14 Jahren einmal jährlich als Benefiz-Veranstaltung für afrikanische Kinder durchgeführt wird. Am 22. Juli 2019 kommen also mein Rad und ich nach zwölf Stunden Flug in Johannesburg an. Jetzt noch mit dem Taxi ins Hotel, Fahrrad wieder zusammenbauen, essen und schlafen. Am nächsten Morgen geht es um 05:00 Uhr mit dem Bus ins 550 km entfernte erste Camp nach Mapungubwe, wo wir am nächsten Morgen mit der eigentlichen Tour starten. Hier hat bereits eine Heerschar von ehrenamtlichen Helfern eine riesige Zeltstadt (2 riesige Gemeinschaftszelte und ca. 290 Zwei-Mann-Zelte für die Teilnehmer und die Guides) mit allem Zick und Zack aufgebaut. Nach Begrüßung und Klärung einiger organisatorischer Abläufe durch den Veranstalter folgt das Ausfüllen des Visumantrags für Zimbabwe und dann der gemütliche Teil, ein exzellentes, typisch afrikanisches Abend-Buffet (Salat, Gemüse, Springbock, Geflügel), ein paar Bierchen und das Kennenlernen der 15 Mitfahrer meiner Gruppe. Wie sich herausstellt, sind fast alle „Wiederholungs-„Tuli“-täter“. Bevor ich zur Beschreibung der Tour-Eindrücke übergehe, ein paar Worte zur Tour de Tuli selbst. Die jährliche Tour ist eine Benefiz-Veranstaltung und wird durch über 30 internationale, namhafte Sponsoren und durch hunderte ehrenamtliche Einzelgruppen unterstützt. Alle Startgelder und sonstigen Einnahmen gehen zu 100 % in die gemeinnützige Organisation „Children in the Wilderness“, die sich dafür einsetzt, afrikanischen Kindern im Landesinneren eine Bildungsperspektive zu geben. Mehr Details kann man sich unter „Tour de Tuli“ oder „Children in the Wilderness“ im Internet anschauen.

24. Juli 2019, kein Regen – 60 km

Fünf Uhr und draußen ist schon die Hölle los, bei gerade mal 6° C. Damit sich die rund 280 Biker nicht wie ein endloser Lindwurm durch die Steppen zieht, sind die Teilnehmer in die Leistungsgruppen „Fast (ca. 18 km/h) – Int (ca. 15 km/h) – Slow (ca. 10 km/h)“ eingeteilt und starten im Abstand von ca. 10 Minuten ab 06:00 Uhr. Die „Fast’en“ sollten dann nach ca. 5 - 6 Stunden und die „Slow’en“ nach ca. 7 - 8 Stunden im nächsten Camp sein. Soweit der Plan! Wenn nicht irgendwo Elefanten oder Löwen „Bock auf Radfahrer“ haben und man einen „kleinen Umweg“ fahren muss oder die Anzahl der Reifenpannen und technischen Probleme das Normalmaß übersteigt, kann es auch klappen.

Schon nach ein paar Kilometern wird deutlich, warum man ein bisschen Kondition mitbringen sollte. Unsere Route erfordert, dass wir mehrmals das Überschwemmungsgebiet des Limpopo durchqueren, welches sich in Form einer breiten, feinsandigen und kräftefressenden Sandfläche darstellt und uns mehrfach zum Schieben zwingt. Da lobe ich mir doch die schnelle Fahrt über schmale, von Elefanten getretenen Pfade, auf denen wir zügig auf einen Sonnenschirm mitten im Nirgendwo zufahren, was sich dann als Grenzübergang nach Zimbabwe darstellt. Hier sitzen heute, extra für die Tourteilnehmer, zwei Grenzbeamte aus Zimbabwe auf Klappstühlen unter dem Sonnenschirm und erledigen die „komplexen“ Einreiseformalitäten. Nach 23 Sekunden ist alles erledigt und der Stempel in meinem Pass. Unsere Mittagspause machen wir etwas später an einer archäologischen Weltattraktion, wo man ein perfekt eingebettetes Skelett eines 200 Millionen Jahre alten Fossils bestaunen kann. Nach der anspruchsvollen Durchquerung eines Felsenplateaus geht es noch einmal durch viel Sand und dann wirklich im reinen Genuss die letzten 20 km ins Nyalaberry-Camp, wo wir um ca. 14:30 Uhr ankommen. Ach ja, da waren dann noch 4 mehr oder minder große Gruppen von Elefanten, ein einzelner Elefant - der keinen Bock auf Radfahrer hatte (+ 5 km) und eine ganze Menge Giraffen, einige Krokodile am Limpopo und jede Menge Tiere, von denen es wohl ein paar zum Abendessen gab. Lohnt bestimmt, sich das auch mal irgendwann intensiver anzuschauen, aber wir sind diesmal hier zum MTB-fahren.

Grob zusammengefasst gliedert sich der Rest des Tages so: Etwas „viel“ trinken, mit möglichst wenig Wasser möglichst viel Dreck von mir und vom Fahrrad abwaschen, zur Massage gehen, Fahrrad-Wartung, kleine Landschaftserkundung mit ein paar Leuten im näheren Umkreis des Camps, Abendessen und dann am Feuer zusammensitzen und Geschichten erzählen.

25. Juli 2019, wieder kein Regen – 90 km

Wie schon die Länge der heutigen Etappe vermuten lässt, sind die Fahrbedingungen heute über weite Strecken einfach nur genial. Wir fahren mit gutem Speed durch fantastische Landschaften und bestaunen dabei die Vielfalt der afrikanischen Tierwelt. Am Shashe River passieren wir eine ähnlich üppig ausgestattete Grenzstation wie gestern - nur diesmal nach Botswana. Nach der „obligatorischen Teatime“ am Flussufer geht es meist über unbefestigte, schmale, aber zu erkennende „Jeep Game Trails“. Hier geht „Wild Life“ richtig ab, neben Elefanten und Giraffen auch reichlich Zebras und sonstiges typisches Steppengetier was, wie unsere Guides wissen, an dem Wasserreichtum in der Gegend liegt.

Um ca. 16:00 Uhr kommen wir am Amphitheatre Bush Camp an und gestalten den restlichen Tag wie gehabt mit der Pflege von Mann und Maschine. Als spätes Highlight: der Sonnenuntergang von der markanten Felsengruppe, die dem Camp den Namen gegeben hat.

26. Juli 2019, immer noch kein Regen – 70 km

Heute gehen wir die Sache mal etwas gelassener an und starten alle eine Stunde später – wir so gegen 8.00 Uhr. Die Strecke verläuft häufig auf „Jeep Game Trails“ was heißt, dass die Gruppe auf gleichmäßigem Niveau, ziemlich schnell und in bester Stimmung eine für alle entspannte Tour macht. Wir nehmen uns sogar die Zeit mal Flora und Fauna intensiver zu betrachten. Auffällig ist, dass heute viele Teilnehmer mit einem noch größeren und dickeren „Camelback“ losfahren als an den anderen Tagen. Auf meine Nachfrage, was zu der Volumenvergrößerung der Rucksäcke führt, bekomme ich die Antwort: Kugelschreiber, Buntstifte, Lineale, Radiergummis und Schreibpapier???. Es stellte sich heraus, dass es sich um privat gesammelte „Mitbringsel“ für Schulkinder der „Lentswe Le Moriti Schule“ handelte, die heute ein Etappenziel ist und beim Eintreffen der jeweiligen Gruppen wurden die Sachen an die Schulleitung übergeben. Für mich war erschreckend, wie wichtig und hilfreich jeder Bleistift für die Kinder in Afrika ist. Der Besuch der Schule war auf jeden Fall ein großes Fest für alle! Die Kinder haben für uns gesungen, getanzt und wir durften auf der Landkarte zeigen, aus welchem fernen Land wir kommen und wie sich z. B. die deutsche Sprache anhört. Ein paar von den Kindern wollten und durften ein Stück mit unseren Bikes fahren. Aus gegebenen Anlass sind wir erst gegen 16:00 Uhr, mit dem satten Gefühl, dass wir mit der Teilnahme an der Tour das sehr Angenehme mit dem sehr Nützlichen verbunden haben, im Camp angekommen.

27. Juli 2019, wer braucht schon Regen – 85 km

Heute geht es dann von Botswana zurück nach Südafrika zu unserem Startpunkt. Die letzten 80 km zeigen nochmal alle Facetten dieser Tour: weite Grassteppen, mittelhohe, zerklüftete und durchaus anspruchsvolle Felsformationen, kleine Wäldchen, Elefantenpfade, ausgetrocknete Flussläufe, keine Löwen, aber dafür mal wieder einige Elefanten, die keinen Bock auf Radfahrer hatten ­ plus ca. 8 km und zum guten Schluss ein nicht endendes Sandfeld entlang des Shashe River, das nach mehr als 80 wirklich ambitionierten Rad-km das allerletzte aus unseren Beinen rauszieht - aber egal, noch einmal „beißen“ und dann ist „fertich“!!!

Jetzt nochmal den groben Dreck von „Mann und Maschine“ abwaschen, durch unser Massage-Team die Muskeln lockern lassen, alles zusammenpacken und dann zur Abschluss-Party. Das Abendbuffet war ja jeden Abend ein Highlight, aber heute hat sich das Küchenteam nochmal selber übertroffen: feinste afrikanische Küche in fast unüberschaubarer Vielfalt. Nach dem Essen findet dann eine Versteigerung von Reise- und Hotelgutscheinen statt, die nochmal zusätzlich von einigen Sponsoren gestiftet wurden. Kurz vor Mitternacht wird dann feierlich verkündet, dass das Ziel von 5 Millionen Südafrikanischen Rand (ca. 300.000 Euro) durch die Startgebühren, die Ehrenamtlichen Helfer und die mehr als 30 namhaften Sponsoren für „Children in the Wilderness“ erreicht wurden. Wir trinken auf diesen Erfolg noch ein paar Bier und kriechen dann ein letztes Mal für ein paar Stunden in unsere Zelte.

Am nächsten Morgen geht es dann mit dem Bus zurück ins Hotel nach Johannesburg, wo ich dann nach 3 - 4 Stunden am Hotel-Pool mein Fahrrad auseinanderschraube und verpacke, um am nächsten Morgen wieder nach Hause zu fliegen. Die gut 300 km durch die Speisekammer von Löwen, Elefanten usw. über im wahrsten Sinne „Stock und Stein“, viel Sand, viel Sonne, ein paar Pannen (Kurbel, Mantel, Schaltung, Bremse … ) und viel Spaß waren ein geiler Trip mit vielen positiven und nachhaltigen Erfahrungen. Vor dem Hintergrund, dass zum Aufbringen von so viel Hilfsgeldern eben immer ein gewisser, breiter Rahmen notwendig ist, eine wirklich geniale und zur Nachahmung empfohlene Sache und für den, der fleißig in unserer MTB-Gruppe mitradelt, auch eine beherrschbare Herausforderung an das notwendige Können und die Kondition.

Kette rechts
Oliver